Gott oder Knast

André Scheer in der jungen Welt vom 29.11.2012

Gott oder Knast

USA: In Kentucky garantiert der Allmächtige die innere Sicherheit. Wer das anzweifelt, dem droht Gefängnis

Wer in Kentucky öffentlich bezweifelt, daß der »Allmächtige Herrgot« lebenswichtig für die Ordnung in diesem US-Bundesstaat ist, kann für ein Jahr ins Gefängnis wandern. Das geht aus einem Sicherheitsgesetz hervor, das bereits 2006 verabschiedet wurde und noch immer die Gerichte beschäftigt. Die Homeland-Security-Behörde von Kentucky wird darin zudem verpflichtet, an »prominenter Stelle« in Schulungs- und Lehrmaterialien und auf Hinweistafeln zu veröffentlichen, daß »Schutz und Sicherheit des Gemeinwesens nicht ohne Vertrauen auf den Allmächtigen Herrgott erfüllt« werden können. Seither führen die Freidenker des Bundesstaates einen juristischen Kampf gegen das Gesetz.

Einen zeitweiligen Erfolg konnten die Kläger 2009 feiern, als ein Bezirksgericht die Bestimmung als verfassungswidrig aufhob. Im vergangenen Jahr kassierte dann jedoch ein Appellationsgericht dieses Urteil. »Die Gesetzgebung von Kentucky hat nicht versucht, einen Glauben oder irgendeine Form von religiöser Praxis über eine andere zu stellen. Ein einfacher Bezug auf einen allgemeinen ›Gott‹ erkennt Religion in genereller Weise an«, begründete Richter Laurance VanMeter im Oktober 2011 die mit zwei Stimmen gegen eine gefällte Entscheidung. Die US-amerikanischen Freidenker sehen dadurch jedoch mindestens ein Sechstel der Bevölkerung von Kentucky diskriminiert, die sich Umfragen zufolge als »religionslos« bezeichnen. Ihre Beschwerde beim obersten Gerichtshof von Kentucky wurde im August jedoch abgewiesen. Jetzt müssen sich die obersten Richter in Washington mit dem Fall befassen.

Die American Atheists, eine 1963 gegründete Organisation zur Verteidigung der Bürgerrechte von Ungläubigen, hat den Supreme Court angerufen. Dieser soll nun letztinstanzlich das Sicherheitsgesetz von Kentucky aufheben, weil es die von der US-Verfassung verlangte Trennung von Staat und Religion verletze. »Das ist eine der ungeheuerlichsten und atemberaubendsten Aktionen einer staatlichen Legislative, die ich jemals gesehen habe«, erklärte der Rechtsanwalt und juristische Direktor der American Atheists, Edwin Kagin, gegenüber Medienvertretern. In einer Pressemitteilung warnte seine Organisation am Wochenende unter der Überschrift »Glaube an Gott oder gehe direkt ins Gefängnis«, daß Atheisten und Agnostiker »in Kentucky seit 2008 jeden Tag potentiell zu dem Bekenntnis gezwungen werden, daß die Sicherheit ihres Staates vom ›Allmächtigen Gott‹ abhängt, sonst drohen ihnen Strafverfahren und bis zu zwölf Monate Gefängnis.« Bis zum 17. Dezember hat die Staatsregierung von Kentucky nun Zeit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Eine Entscheidung der Richter wird erst im kommenden Jahr erwartet.

»Die Trennung von Kirche und Staat ist keine Linie, die ich akzeptieren kann«, erklärte Tom Riner, auf dessen Initiative das umstrittene Gesetz zurückgeht, bereits 2009 im Gespräch mit der New York Times. Der Missionar der Baptisten, der seit 1982 für die Demokraten im Repräsentantenhaus von Kentucky sitzt, wittert statt dessen »einen Versuch, Amerika von seiner Geschichte, sich als Nation unter Gott zu verstehen, abzuspalten«.

Tatsächlich wenden sich jedoch immer mehr US-Amerikaner von der Kirche ab. Einer im Oktober vom Pew Research Center in Washington veröffentlichten Studie zufolge, nimmt die Zahl der »Ungläubigen« immer schneller zu. Ein Fünftel aller US-Amerikaner und sogar ein Drittel der unter 30jährigen gehören inzwischen keiner Religionsgemeinschaft mehr an, der höchste Wert seit Beginn solcher Erhebungen in den 60er Jahren. Allein in den vergangenen fünf Jahren stieg die Zahl der Befragten, die als ihre Glaubenszugehörigkeit »keine« angaben, von knapp über 15 auf etwas unter 20 Prozent.

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